„Old Boy“ ist ein eher untypischer Manga. Ein Mann wird 10 Jahre lang eingesperrt, ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne zu wissen, wer ihn warum einsperren ließ. Urplötzlich wird er aus dem Gefängnis entlassen und findet sich in der Freiheit wieder. Nun will er herausfinden, warum er weggesperrt wurde.
Klingt nach einem typischen Actionfilm, in dem Bruce Willis den hardboiled Gefangenen spielen könnte, oder? In der Tat hat der Hauptcharakter, der meistens einfach nur „alter Knabe“* genannt wird, große Ähnlichkeit mit den schweigsamen Action- und Krimihelden früherer Zeiteneinen, die sich Whiskey nach dem anderen hinter die Binde kippen. Der Manga stammt bereits aus dem Jahr 1997 und war die Grundlage für einen koreanischen Kinoklassiker, den ich natürlich mal wieder nicht gesehen habe: „Oldboy“, verfilmt von Park Chan-wook, der 2013 von Spike Lee neu verfilmt wurde. Wobei die Zeit, die Old Boy in Gefangenschaft verbringt bei beiden Filmen länger ist als im Manga. Zehn Jahre waren wohl nicht dramatisch genug. ^^ Ach ja, „Old Boy“ ist in vier fetten Bänden abgeschlossen, ich habe also nicht schon wieder eine Reihe angefangen, sondern eine Reihe in einem durchgelesen. :)
(*=Vermutlich also „old boy“ im Englischen und „Oji-san/Oji-chan“ oder so im Japanischen.)
Der Manga ist trotzdem nicht einfach nur ein action-kapow-Werk, ganz im Gegenteil. Der alte Knabe, dessen genaues Alter erst im vierten Band erwähnt wird, ist zwar auf Rache aus, doch im Gegensatz zum Ottonormal-rachegelüstigen Protagonisten, metzelt er nicht einfach alles nieder, was ihm in die Quere kommt.
Knubbelnasen und viele leere Panels

Alle vier Bände von „Old Boy“; Garon Tsuchiya/Nobuaki Minegishi; Carlsen Manga. Man sieht: Nasen und bedenklich erhöhter Zigaretten- und Alkoholkonsum, wie das anscheinend in manchen Filmen mal üblich war. ;)
Die männlichen Hauptcharaktere haben meistens eher Kartoffelnasen und die Frauen haben manchmal sogar niedliche Stupsnasen. Ich weiß, ich hab’s mit Nasen. ^^ Der Zeichenstil ist also eher untypisch für einen Manga, aber durchaus anschauenswert. :) Vor allem da die Zeichnungen sehr atmosphärisch sind. Ich hatte wirklich oft das Gefühl, Filmausschnitte vor mir zu haben, weil die Umgebung immer genau abgelichtet wird und die Szenerie durch viele viele Figuren, die nichts mit der Story zu tun haben, einen unglaublich lebendigen Hintergrund bekommt. In unglaublich vielen Panels passiert nichts, die Charaktere starren nur auf die Stadt hinaus oder sehen sich an, während der Wind die Vorhänge flattern lässt. Das ist aber nicht langweilig, sondern schafft umso mehr Spannung oder vermittelt dem Leser ein viel besseres Gefühl für die Situation und gibt dem Manga eine ganz eigene, beeindruckende Tiefe. Gerade weil es ab und zu ganze Seiten gibt, auf denen sich keine einzige Sprechblase findet, habe ich nicht so einfach Dinge überblättert, wie mir das bei manchen Shounen-Mangas mitten in den Kampfszenen passiert. Ich konnte mich viel mehr auf die Zeichnungen einlassen und hatte nicht das Gefühl mit einem „Hä? Wo reden die denn endlich wieder??“ hektisch weiterblättern zu müssen.
Gibt es denn auch Action? Oder nur wehende Vorhänge?
In der Story geht es um den Kampf des alten Knaben mit seinem Gegenspieler, dem Unbekannten. Dieser kann mit Geld um sich werfen und setzt unserem Old Boy ein Zeitlimit, um herauszufinden, warum er eingesperrt wurde. Findet er es nicht heraus, muss er sterben. Findet er rechtzeitig heraus, warum Mr. Evil ihn eingesperrt hat, so will der Böse sich angeblich selbst das Leben nehmen. Es handelt sich also um einen ziemlich seltsamen Gegenspieler, der absolut schwer zu durchschauen ist und, wie ich finde, auch in der Retrospektive einen ganz schönen Hau weg hat.
Es gibt auch Action, aber die ist immer sehr begrenzt. Im Vorwort (bei dem ich meistens immer geistig abschalte) steht, dass die Story quasi immer mit Notbremse fährt. Beschleunigung, dann abrupte Entspannung. Erst habe ich mich gewundert, was der Experte denn damit meint, aber er hat absolut Recht. Die Geschichte zieht einen in ihren Bann, man will unbedingt wissen, warum jemand eine Person zehn Jahre lang einsperrt und man macht sich Sorgen, dass der Bösewicht plötzlich zu gefährlichen Methoden greifen wird. Aber gerade wenn man denkt „Oh nein! Jetzt ist es aus!“, stellt sich heraus, dass dem Gegenspieler von Old Boy das Kräftemessen viel zu wichtig ist, als dass er diesen einfach so kurzerhand umbringen würde.
Aber vielleicht nimmt der Böse sich ja stattdessen die Freunde vor, die unser alter Knabe hat? Oder die junge Frau, die er kennen gelernt hat? Und so steigt die Spannung wieder und fällt und steigt und fällt und man macht eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle durch. Dieses Hin und Her war für mich jedoch nie so nervig, wie es in meiner Beschreibung vermutlich gerade rüberkommt. ;) Es ist nämlich nicht einfach nur eine nervige Art, um bei jedem Kapitel einen neuen Cliffhanger einzubauen und wirkt nicht übermäßig gekünstelt. Der Manga war für mich nie langweilig, wäre es aber vielleicht geworden, wenn es mehr Bände gäbe. So ist alles perfekt aufeinander abgestimmt und nichts unnötig in die Länge gezogen.
Von mir geht es also eine uneingeschränkte Leseempfehlung an alle, die mal einen entschleunigten Manga (bescheuertes Wort, trifft aber irgendwie zu) mit ein wenig altmodischerem Charme lesen möchten. :) Falls ihr Manga oder Film kennt, würde mich eure Meinung interessieren, besonders da die Filme vom Manga stark abweichen sollen. Und falls noch Fragen bezüglich des Mangas offen sind: Immer raus damit! ;)
Einen wunderschönen, entschleunigten Tag wünscht euch
eure 0utofjoint =)
Aaaach wie genial. Neid – den will ich auch schon ewig lesen und vor Allem BESITZEN, weil ich den Film großartig fand. (Das Original, nicht das Remake) Leider kann ich also noch nicht mitreden, was die Unterschiede zwischen Film und Manga betrifft. Als ich mich aber mal mit dem Film beschäftigt habe und etwas Hintergrundwissen angelesen habe, bin ich irgendwann über die Info gestolpert, dass das Ende ein anderes ist.
Und das im Film hat einen doppelten Boden und ist wirklich fies. Moralisch, emotional, … einfach fies.
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Oh oh oh oh oh, voll toll, du kennst den! *hibbel* Ich hab die ganze Zeit mit genau so einem Ende gerechnet, wie du es beschreibst und dann kam es doch nicht … Da hat der Regisseur bestimmt meine Befürchtungen umgesetzt :D Aber ich mag doch Happy Ends – da werd ich wohl besser doch nur beim Manga bleiben. O:)
Btw richtig ärgerlich finde ich noch: Die ersten drei Bände sind schön matt, nur der letzte hat als einziger ein doofes Glanz-Cover! :/
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Oh ja, das ist allgemein immer sehr ärgerlich, wenn man sich eine Reihe zulegt und der Verlag hat nicht auf eine konsistente Machart geachtet. Bei sowas bin ich auch sehr Buchfetischist. XD Das muss doch im Regal zusammenpassen . :)
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Genau! Wie sieht denn das jetzt aus hier? :D
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Ich kann mich eigentlich nur eingeschränkt dazu äußern, da ich nur den ersten Band gelesen habe. Die Zeichnungen gefallen mir, wobei die Nasen echt manchmal zum Lachen aussehen. Allerdings passt „entschleunigt“, meiner Meinung nach. Unbedingt wollte ich wissen, warum er eingesperrt wurde. Als dann aber eine gewisse Szene kam (hat mit Singen) zu tun, war ich etwas… irritiert. Irgendwie verlor ich das Interesse am zweiten Band. Von der 97-Verfilmung habe ich nur Szenen gesehen, leider genau das Ende. Aber das war für mich faszinierender.
Falls es jemanden interessiert. Es gibt eine kurze Review von Etienne Gardé, in der er die Manga und den alten Film miteinander vergleicht. Wie er es erzählt, fand ich irgendwie lustig.
(SPOILER: http://youtu.be/e2gIa6gkUQA?t=22m22s SPOILER)
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Ja, die Art eben nicht direkt zum wichtigsten Punkt zu kommen, muss einem gefallen. Wäre mir sehr nach Bruce Willis Action gewesen, dann hätte ich wahrscheinlich auch erstmal was anderes gelesen. :)
Cool, danke! Werde ich mir vielleicht mal anschauen, falls ich den Film dann doch nicht gucken will! :)
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